CO2-freies Wohnen:
Resilienz statt „Saisonale Illusion“

Wenn auch die Außenanlagen ergrünt sind, wird die Anlage so wie auf dieser Ansicht aussehen. (Bild: EUKON )

Vor wenigen Wochen wurde unserem langjährigen Mitglied Dipl. Ing. Jörg Linnig der DEUTSCHE TGA-AWARD 2022 in der Kategorie Wohnungsbau (Neubau) für sein Projekt Klimaschutzsiedlung Ibbenbüren in Westfalen verliehen. Hohe Energiepreise und Klimawandel verlangen innovative und regenerative Lösungen für Gebäude. Dafür lobte die Jury „das integrative Gesamtkonzept für regenerative Energien (PV und Solarthermie), Heizungs- und Wärmespeichertechnik, Gebäudeautomation und MSR-Technik sowie Forschung, Entwicklung und Monitoring im Projekt“.

Der TGA-AWARD ist die nationale Auszeichnung für TGA-Planer und herstellende Unternehmen der TGA-Branche, die sich durch herausragendes Engagement im Sinne einer nachhaltigen Zukunft in der Branche verdient gemacht haben.

Für die Lösung in Ibbenbüren griff Jörg Linnig mit seiner langjährigen Erfahrung auf das Sonnenhaus-Konzept zurück. „Da das Sonnenhaus immer auch eine hohe Speicherfähigkeit von Wärmeenergie beinhaltet, ist dies die beste Voraussetzung, um einen hohen Grad an Unabhängigkeit – oder anders ausgedrückt – an Resilienz zu schaffen“, so Linnig. Die Realisierung des Passivhausstandards war Voraussetzung dafür, dass die verfügbaren Flächen zur Solarnutzung von Solarthermie und Fotovoltaik optimal genutzt und die Dimensionierung der Anlagenkomponenten entsprechend kleiner ausfallen konnten. Dies führt insgesamt betrachtet zu einer höheren Wirtschaftlichkeit.
Nachdem wir über die Preisverleihung bereits aktuell und kurz in unserem Newsletter berichtet haben, wollen wir hier in einem Projektbericht auf die technischen Details und Hintergründe der ausgezeichneten Lösung eingehen.

Entstehungsgeschichte:

Definiertes Ziel in Ibbenbüren war es, die zukünftigen Wohnungen energetisch CO2-neutral zu betreiben und eine hohe Unabhängigkeit von einer externen Energieversorgung zu erreichen. Auf dieser Basis wurden zunächst zwei von fünf Gebäuden entwickelt. Jedes Gebäude umfasst acht Wohnungen. Das Projekt wurde vom Land als Klimaschutzsiedlung-NRW ausgezeichnet und ein entsprechendes Monitoring durch Fördermittel unterstützt.

Resilienz statt „Saisonale Illusion“

Fachleuten reicht oft ein kurzer Blick auf die Fakten, um zu erkennen, dass CO2- oder Klimaneutralität oft nur bilanziert hergestellt wird. Vereinfacht heißt dies, dass eine Anlage im Sommer zwar durchaus mehr Energieerträge liefert, als sie im Winter verbraucht. Überschüsse werden in der Regel ins Netz eingespeist, während im Winter aber Energie bezogen werden muss.

Diese Scheinautarkie bezeichnen Fachleute auch als „Saisonale Illusion“, denn sie kann den sommerlichen Überschuss von Energie lediglich rechnerisch in den Winter verschieben. Die entscheidende Herausforderung der Zwischenspeicherung von Energie wird ausgeblendet.

Die Herausforderung liegt insbesondere bei real umsetzbaren klimaneutralen Lösungen, also im Überbrücken eines mehr oder weniger kleinen, aber entscheidenden Fehlbedarfs an Wärme oder Strom im Jahresverlauf. Dies macht den Einsatz von Speichern erforderlich. Erst damit ist ein hoher solarer Deckungsgrad erreichbar, um eine größere Unabhängigkeit von fluktuierenden Energieangeboten und Energiepreisschwankungen zu erlangen – also resilienter zu werden.

Lösungsansatz

Basiskonfiguration (Grafik: EUKON)

Auf Basis einer exergetisch optimierten Anlagenplanung sollte ein möglichst hoher Grad an Unabhängigkeit von fossilen Trägern und einer externen Energieversorgung erreicht werden. Hierbei wurde von Linnigs Büro EUKON in Krefeld ein völlig neu entwickeltes Hydraulik- und Regelkonzept umgesetzt.

Grundüberlegung hierbei war es, entsprechend dem Bedarf als Hauptenergiequelle sowohl Fotovoltaik als auch thermische Solarenergie zu nutzen. Aufgrund der höheren Flächeneffizienz ist es sinnvoll, für Heizung- und Warmwasserbereitung in erster Linie thermische Solaranlagen einzusetzen. Zudem lässt sich Wärmeenergie deutlich kostengünstiger und langfristiger speichern.

Wie bereits erwähnt, werden die Preise für Energie in den kommenden Jahren zunehmend von der Speicherung und weniger von der Erzeugung abhängen. Speicherbare, regenerativ erzeugte Energie wird deutlich an Wert gewinnen. Hier setzt die Grundidee des Eukon-Energiekonzeptes an. In der Klimaschutzsiedlung wird auch das Erdreich unterhalb des Gebäudes als saisonaler Wärmespeicher genutzt.

Solarthermie und Fotovoltaik in einem energetischen Gesamtkonzept

Das realisierte Hydraulik- und Regelkonzept ermöglich, thermische Solarenergie zunächst direkt zur Deckung des Heizwärme- und Warmwasserbedarfs zu nutzen. Ist die Einstrahlung gering, so wird die thermische Solarenergie als Vorwärmsystem für die Wärmepumpe oder zur thermischen Bauteilaktivierung der Bodenplatte genutzt.
Durch umfangreiche Simulationen wurde zudem das Verhältnis von Fotovoltaik zur Solarthermie optimiert. Für den Strombedarf steht eine Fotovoltaikanlage mit einem Batteriespeicher zur Verfügung. Bei Überschussstrom wird im Rahmen eines Energiemanagements zusätzlich Wärme mittels einer leistungsgeregelten Wärmepumpe erzeugt.

Wärmepumpe, Anergie-Tank und Bauteilaktivierung

Bei einem Überschuss an Sonnenenergie wird der Anergie-Tank geladen und als saisonaler Wärmespeicher genutzt. So kann die Wärmepumpe die Energie aus dem Anergie-Speicher nutzen, wenn die Solareinstrahlung gering und der Wärmebedarf hoch ist. Des Weiteren kann der Überschussstrom aus der Fotovoltaikanlage genutzt werden, um mit der Wärmepumpe den Hochtemperaturspeicher vorzuwärmen.

Visualisierung der Energieflüsse zwischen den einzelnen Komponenten der Anlage unter verschiedenen Witterungsbedingungen (Grafik: EUKON)

Die Herausforderung bestand hier in der Anpassung bestehender Planungswerkzeuge sowie in der Entwicklung neuer Tools, um die komplexe Dynamik der Anlagentechnik in Verbindung mit dem Speicherverhalten im Erdreich mit dem Bedarf aufeinander abzustimmen. Hierzu wurde eine Anlagensimulation mit einer dynamischen Wärmebrückenberechnung gekoppelt.

Simulation vor Inbetriebnahme

Die Energiebilanz in der Simulation (Grafik: EUKON)

Die Gebäude wurden im Sommer 2020 in Betrieb genommen. Die ersten Ergebnisse aus dem Monitoring zeigten, dass die prognostizierten Erträge erreicht wurden. Ein Problem stellt jedoch die Aufheizphase mit deutlich erhöhtem Wärmebedarf dar. Dies wurde dadurch verschärft, dass die von Herstellern zugesagten technischen Eigenschaften nicht hinreichend erfüllt wurden.

Ergebnisse und Marktfähigkeit

Die Auswertung der ersten Betriebsergebnisse aus dem Monitoring zeigt, dass die Anlage sich weitestgehend der Planung entsprechend verhält und die Anfangsprobleme ausgeräumt werden können.

Um die von EUKON als „Sonnenhauskompaktsystem“ bezeichnete Lösung zu standardisieren, ist weitere Entwicklungsarbeit notwendig. Um letztlich eine so anspruchsvolle Anlagenkonfiguration in Breite marktfähig zu machen, steht Jörg Linnig derzeit mit verschiedenen Akteuren im Kontakt, um dieses System zu einem Plug&Play-fähigen, modular aufgebauten Gesamtsystem weiterzuentwickeln. Für die Entwicklung der Hydraulikstationen konnte zwischenzeitlich ein renommierter Markpartner gefunden werden. Ein Partner, der bereit ist, auch eine an das System optimierte Wärmepumpe mitzuentwickeln, wird derzeit noch gesucht.

Weitere Informationen unter: www.eukon.de/tga-award

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